Bericht von Herta Burger-Ringer (Schebesta/ Maturajahrgang 1950)

11. Totenfest der UNAM

Seit 1994 Mexiko dem Dreierbund NAFTA (North American Free Trade Association - USA, Mexiko-Canada) beigetreten ist, fast alle mexikanischen Supermärkte von USamerikanischen übernommen wurden und viel Halloween- (und Santa Claus) Kitsch dort verkauft wird, ist der mexikanische Staat sehr bemüht, mit eigenständigen Bräuchen dem entgegenzusteuern. Für Ausländer mag das Totenfest mit seinen skurrilen Totengerippen schockierend wirken. Auch mir erging dies so. Aber inzwischen gefällt mir der Brauch sehr gut. Ich muss mich entschuldigen, dass ich in der folgenden Einleitung einiges, das ich früher schrieb, wiederhole.

Der Dia de Muertos wurde bereits von den Eingeborenen gefeiert. Auf kleinen Friedhöfen fern von Touristen wird er noch meist als fröhliches Fest gefeiert. Die Menschen wollen einen Tag mit ihren Verstorbenen so verbringen, wie diese zu Lebzeiten mit ihnen gerne gemeinsame Stunden verbracht haben. So tun sie dies nun rund um die Gräber sitzend, trinken, essen, singen, lachen, tratschen. Ich sah sogar auf den Gräbern abgelegt, schlafende Kleinkinder.-Vor den Friedhofstoren werden Luftballons, Totenbrot mit gekreuzten Knochen und halbem Schädel verziert, Süssigkeiten, Getränke, Marzipantotenköpfe, die an Kinder, mit deren Namen beschriftet, verschenkt werden, verkauft.

Eingeladen zu einem häuslichen Totenfest war ebenfalls, wie in vielen Haushalten, auf einer Kommode eine ofrenda (Totengaben) mit vielen Blumen, Kerzen, allerlei Essen, Getränke, alles, was der Verstorbene im Leben liebte, aufgestellt. Die Gastgeberin bat Kurt, meinen Mann, auf dem Klavier Wiener Heurigenlieder zu spielen und uns dazu zu singen, weil ihr verstorbener mexikanischer Vater, diese Lieder so gerne im Leben gehört hatte. Übrigens wurde mir damals erst bewusst, wie melodienreich und schön Wiener Heurigenlieder sein können. Es war ein fröhlicher schöner Nachmittag mit Essen, Singen und Musizieren im Gedenken an den verstorbenen Vater der Gastgeberin.

Am Universitätscampus der UNAM (Universidad Nacional Autonoma de México) wird nun seit 11 Jahren das Totenfest von allen Fakultäten und auch von anderen Schulen mit zahllosen "ofrendas" an geliebte, berühmte verstorbene Professoren, Mitstudenten, Gelehrte, Philosophen gefeiert. So war vor 2 Jahren eine wunderschöne ofrenda im kunstvoll überdachten Verbindungsgang zwischen den einzelnen Stockwerken zweier Gebäude der botanischen Fakultät. Es wurde ein vor 250 Jahren verstorbener Botaniker geehrt, der über 2.000 sehr schöne Pflanzenaquarelle gemalt hat. In schönen Glasschaukästen wurden mehrere Bilder gezeigt und darunter stand je eine Vase mit derselben echten Blume oder Pflanze zum Vergleich. Der Botaniker kam aus einem kleinen Dorf, das mit bunten Häuschen zwischen die Vulkanfelsen und Bepflanzungen der Glashalle dargestellt war. Von Jahr zu Jahr wird mir das Totenfest lieber, und ich denke an unsere Professoren, deren Gräber wir zu jedem Maturatreffen besuchen, gerne alte Erinnerungen über sie austauschen und umgekehrt an meine Kinder, die viele ihrer Lehrer bereits vergessen haben...

Von den zahllosen ofrendas von heuer am Universitätsgelände sende ich einige Fotos. » zur Fotogalerie

An der UNAM war auch heuer der dia de muertos wieder ein fröhliches Fest. Es tanzten Volksgruppen mit herrlichen, oft prachtvoll gestickten Trachten, es gab Sänger, kleine Theaterstücke, Lustiges aber auch Lehrreiches. So bauten die Mediziner wieder ein "Labyrinth" auf mit komikartigen Zeichnungen und Fotos ernster Gefahren. Heuer: wie schädlich der Einfluss von Alkohol schon vor der Geburt eines Kindes sich auswirken kann.

Jedes Jahr wird ein Thema vorgeschlagen, zum Beispiel im Vorjahr Totenfeiern in aller Welt, heuer war es: 40 Jahre nach den Studentenunruhen 1968, wo zahllose Studenten anlässlich einer Kundgebung (Tlatelolco, dem Platz der drei Kulturen, in der Altstadt Méxicos, D.F.) von zivil gekleideten Polizisten niedergeschossen wurden. Von wenigen bekannten der damals Ermordeten wurden Bilder aufgestellt und ihrer liebevoll gedacht. Ein anderes Thema ist heuer auch das 10. Todesjahr von Octavio Paz, einem der berühmtesten Schriftsteller Mexikos und Nobelpreisträger, ihm wurden wie anderen hervorragenden Persönlichkeiten von Wissenschaft und Kunst mehrere ofrendas aufgestellt, ja sogar eine trainera (typisches blumengeschmücktes Boot - Bild 38) auf der Wasserfläche vor der rektoria und biblioteca Oktavio Paz benannt und geschmückt. An die Themen-Vorschläge müssen sich aber die Studenten nicht halten. Uns fällt auf, dass die Gestaltung der ofrendas jedes Jahr ideenreicher, künstlerischer und sorgfältiger gestaltet wird. Heuer haben auffallenderweise 2 Schulen, das amerikanische und das britische College einen kleinen Panzer nachgebaut.(Bild 1) Vor dem amerikanischen liegt in einer "Blutlacke" ein Totengerippe, ein Soldat sieht aus dem Panzer und zielt auf Fliehende. Es ist wohl ein Protest der Studenten gegen den Irakkrieg oder die hohen Waffenausgaben der USA für Kriegs- und Nachkriegseinsätze. Da gab es eine "ofrenda" für verstorbene Fussball- und Sportopfer des universitären Sportclubs PUMA (Bild 2). Eine "Ruhmeshalle" (Bild 6) mexikanischer Berühmtheiten mit Scheingräbern.- Besonders sorgfältig wurden mit allerlei Samen Bilder gelegt oder geklebt. So vorallem mit sehr kleinen blauen und goldenen Steinchen Odontologia seit 1904 (Bild 16) und dem Universitätswappen, oder andererseits Muster mit einem riesigen Adler aus Bohnen. und anderen Samen (Bild 24).

Am meisten beeindruckte uns wieder von der veterinärmedizinischen Universität die Nachbildung eines berühmten Gemäldes aus Schloss Chapultepec, das den Kampf der Kulturen darstellt. (Bild 25). Ein mehr als lebensgrosses Pferd mit behelmtem Reiter (Spanier) wird von einem adlerköpfigen, aztekischen Gott angegriffen, der Reiter durchbohrt ihn mit seinem Schwert. Der Körper des "Adlergottes" ist mit Maisblättern "gefiedert", der Kopf mit kleinsten Blättchen. Der Pferdekörper ist bestens modelliert und ungemein eindrucksvoll. – Es gab auch ein Ringelspiel: das auf spanisch tiovivo heisst (tio vivo "lebender Onkel" und Totengerippe darauf als bewusster Gegensatz - Bild 3).

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